2020 streikten Klinik-Beschäftigte in der Metropol-Region für bessere Arbeitsbedingungen und ein solidarisches Gesundheitssystem . Geschichte beginnt jetzt. Die Verhältnisse in den Spitälern von einst sind Thema dieser Sendung. Und auch kämpfende GesundheitsarbeiterInnen kommen zu Wort.
Kranke mit einem Fingerschnippen heilen, das könnten wir angesichts der drohenden Überlastung der Kliniken sehr gut gebrauchen. Till Eulenspiegel trat ja bekanntlich mit der Behauptung im Nürnberger Heilig-Geist-Spital auf, genau das tun zu können. Für seinen Heilungstrick verlangte er laut Legende ein fürstliches Gehalt. Für die 200 Gulden, die er erhielt, konnte man damals, um 1520, fast das schicke Haus von Albrecht Dürer kaufen.
Von derartig fürstlicher Bezahlung konnten freilich diejenigen nur träumen, die eigentlich für die Betreuung der Kranken zuständig waren. Vier Krankenwärterinnen im Heilig-Geist-Spital waren 100 Patienten und Patientinnen anvertraut und sie arbeiteten im Schichtbetrieb.
Auch heute sind Pflegekräfte überlastet. Das ist seit Jahren bekannt. Im Oktober 2020 streikten unter anderem aus diesem Grund die Kliniken - auch die in der Metropolregion. Schon seit dem Lockdown im Frühjahr organisieren sich GesundheitsarbeiterInnen, AktivistInnen und Patienten in der Initiative Gesundheit statt Profit, um gegen ein System mobil zu machen, das dem Markt ausgeliefert ist.
Geschichte wird jetzt gemacht. Deshalb geht unser Zwischenfälle-Team nicht nur auf die Suche nach den Verhältnissen in den Spitälern früherer Zeiten, sondern hat auch die Gesundheitsarbeiterinnen Anja Schmailzl und Inge Hammer von der Initiative über Videokonferenz zugeschaltet. Streiks, Demonstrationen und der Zorn der Beschäftigten von heute sind Themen dieser Sendung und wir machen uns auf zum Heilig-Geist-Spital über der Pegnitz.
Vielen Dank an unsere GesprächspartnerInnen von der Initiative Gesundheit statt Profit, Anja Schmailzl vom Klinikum Nürnberg und Inge Hammer vom Klinikum am Europakanal aus Erlangen.
Den Vortrag von Kalle Kunkel zur Geschichte der Kämpfe an der Charité hörten wir im Rahmen der Linken Literaturmesse 2020. Kalle Kunkel ist aktiv bei Krankenhaus statt Fabrik. Eine Aufzeichnung des entsprechenden Podiums findet sich unter https://www.youtube.com/watch?v=53NMFCD1JBE ab ca 3:10h.
Musik:
Zwischenfälle Ortstermin: Das Heilig-Geist-Spital wurde 1339 erbaut. Das Brückenspital, dessen beiden Brückenbögen sich im Wasser der Pegnitz spiegeln, ist ein begehrtes Fotomotiv für Touristen. Dabei wurde das originale Gebäude 1945 völlig zerstört und einige Jahre später wieder nach dem historischen Vorbild aufgebaut.
Ein Spital war im Mittelalter nicht vorwiegend Krankenhaus, sondern diente außerdem zur Aufnahme alter und bedürftiger Menschen, und es gab Betten für Wöchnerinnen. Zentrale Aufgabe war auch die geistliche Fürsorge. Dennoch handelt es sich um eine kommunale Einrichtung, gestiftet von Konrad Groß, einem der steinreichsten Männern der Zeit.
„Pflege“ hatte im Mittelalter eigentlich die Bedeutung von „Verwaltung“. Die Spital-Pfleger entstammten dem Patriziat. Die mit der Pflege der Kranken betrauten hingegen hießen Krankenwärterinnen. Sie waren keine Bürgerstöchter und erhielten keine Ausbildung, sondern es galt „Learning by doing“. Zusammen mit einer Küsterin, deren Funktion die einer Stationsleitung war, hatten sie die Pflege inne. Die Krankenwärterinnen mussten Schichtdienst leisten. Es gab einen akademisch ausgebildeten Spitalarzt, der zweimal in der Woche kam. Küsterin, Wundarzt und Arzatinnen erhielten geringen Lohn, standen aber im Ansehen sehr hoch und leisteten die eigentliche Arbeit.
Im Spital wurde bereits Pflege im heutigen Sinne geleistet, mit dem Ziel der Genesung durch die Fürsorge und Behandlung. Auch ohne die heutigen technischen Möglichkeiten konnte durch Beschau Diagnosen gestellt werden, um zum Beispiel Lepra oder Pest zu erkennen. Durch den Kontakt mit Patientinnen erwarben auch die Krankenwärterinnen medizinische Kenntnisse.
Bis 1300 war die Pflege noch in Händen von Mönchen gewesen. Mit Aufkommen der städtischen Spitäler waren Krankenwärterinnen dann ausschließlich Frauen.
Ein Plan des Krankensaales im Heilig-Geist-Spital zeigt, dass es dort 100 Betten gab. Bett stand an Bett, es gab keine Privatheit und nur wenig Sichtschutz. Weiterhin gab es Räume für 4-6 Krankenwärterinnen und eine Küsterin. Der Personalschlüssel war also denkbar schlecht. Dennoch konnte man sich glücklich schätzen einen Platz in einem Spital zu bekommen. Ein Drittel der Bevölkerung lebte ständig unterhalb des Existenzminimums. Hier im Spital hatte man ein Bett, einen Ofen und bekam eine Maß Bier täglich, die allerdings auch zur „Sedierung“ diente.
Die Arbeitsbedingungen sind wenig dokumentiert, denn kein Chronist hat sich für die Frauen interessiert, die hier arbeiten mussten.
Das Sebastianspital wurde 1490 außerhalb der Stadtmauern erbaut. Als Pesthaus diente es der Quarantäne, eine Praxis, die man aus Italien übernommen hatte. Das Nürnberger Sebastianspital ist vermutlich das älteste Pesthaus auf deutschem Boden.
Eine gezeichnete Abbildung des Wiener Pesthauses von 1679 gibt Aufschluss über Unterbringung und Versorgung, sowie über Tätigkeiten, die von den dort Arbeitenden verrichtet wurden. Das Bild zeigt schwer gebeugte PflegerInnen beim Tragen von Kranken oder Toten. Eine zentrale Rolle spielt der Priester, der den Kranken Segen spenden muss. Rechts im Bild wird Kleidung verbrannt. Eine Frau räuchert einen Raum aus, um den Pesthauch auszumerzen. Daneben wird ein Kranker mit Essen versorgt. Ein Verstorbener wird aus dem Obergeschoss heruntergelassen, offenbar, weil die dort Isolierten nicht herunterkommen dürfen. Dokumenten über das Augsburger Pesthospital zufolge, musste man sich bei der Aufnahme seiner Kleidung entledigen und wurde einem Barbier vorgeführt. Im Todesfall wurde die Kleidung verbrannt. Daraus werden rudimentäre und auch nach heutigen Maßstäben sinnvolle Hygienevorschriften deutlich.
In den Pestzeiten ging alles drunter und drüber. Das Bewusstsein darüber, dass der Tod Reiche wie Arme gleichermaßen treffen konnte, unterminierte auch die weltlichen Autoritäten. Es existieren zahlreiche zeitgenössische Zeichnungen, auf denen Leichenträger abgebildet sind, die für den Abtransport der vielen Toten verantwortlich waren. Es ist überliefert, dass die Leichenträger aufgrund ihrer wichtigen Rolle selbstbewusst hohe Lohnforderungen stellten – und ihre Forderungen nicht selten auch erfüllt wurden. Heute scheinen die Dinge anders zu laufen. Die Forderung der zu Anfang der Corona-Krise vielbeklatschten Klinikbeschäftigten, dem Pflegenotstand mit einer Tariferhöhung zu begegnen, wurde von den Arbeitgebern im August 2020 mit der Ankündigung einer Nullrunde beantwortet.
Eigentlich hatten die Zwischenfälle vor, mit Klinikenbeschäftigten Krankenhäuser anzusehen und vor Ort über die Verhältnisse von heute zu sprechen. Doch Anfang November 2020 wird ein weiterer Lockdown verordnet. So sind als Expertinnen die Krankenpflegerin Anja Schmailzl und die Ergotherapeutin Inge Hammer zur Videokonferenz geladen. Beide sind Mitglieder der Initiative Gesundheit statt Profit, in der sich in Nürnberg während des Lockdowns im Frühjahr Klinikbeschäftigte und politisch bewusste Menschen zusammengeschlossen haben, um gegen ein profitorientiertes Gesundheitssystem aktiv zu werden.
Zwischenfälle: Zum Ende des Mittelalters waren im Nürnberger Heilig-Geist-Spital 4 Krankenwärterinnen für 100 Patienten zuständig. Wie sind im Vergleich dazu die Bedingungen an modernen Kliniken?
Anja: Sie sind geprägt durch Personalmangel, weil das Personal die betriebswirtschaftliche Stellschraube ist an der man drehen kann. Das schlägt sich in den Arbeitsbedingungen nieder. Natürlich betreue ich heute keine 25 Patienten. Zumindest nicht am Tag. Doch in der Nacht passiert das durchaus.
Wir haben eine ganz andere Form von Medizin und die Patienten werden ja mittlerweile ja auch in einem viel schnelleren Durchlauf bei uns betreut. Die Liegezeiten sind sicherlich kürzer als damals im Hospital, weil man eben möglichst schnell möglichst viele Fälle generieren muss.
Mittlerweile heißt es ja auch nicht mehr Patienten, sondern bezeichnenderweise "Kunden". Das ist jedoch eine Farce, denn PatientInnen suchen sich nicht aus, in welches schicke Krankenhaus sie gehen, sondern sind abhängig davon, welche Leistung wir in den jeweiligen Krankenhäusern erbringen.
Inge: Bei uns in der Klinik wird immer noch von Patienten gesprochen.
Anja: Ja sicher. Aber das wurde tatsächlich schon so propagiert. Da gab es Kurse von Lufthansa-MitarbeiterInnen zur Kundenorientierung.
Zwischenfälle: Im 19. Jahrhundert wurde Krankenpflege durch Florence Nightingale zu einem gesellschaftlich anerkannten, bezahlten Beruf für Frauen. Doch im deutschen Sprachraum hielt sich noch lange der Einfluss einer christlich bestimmten Pflege. Das wird allein durch die noch immer gängige Anrede „Schwester“ deutlich. Demnach sollten Nächstenliebe und Aufopferung die Basis der Pflegearbeit bilden, bezahlt am besten durch Gotteslohn. Euch wurden ja im aktuellen Streik Vorwürfe gemacht, weil ihr die Arbeit niederlegt. Wird eure Arbeit also immer noch moralisch beurteilt?
Anja: Selbstverständlich spielt es immer noch eine Rolle. Es wurden uns Vorhaltungen gemacht und tatsächlich sagen viele Kollegen, wir können doch jetzt nicht streiken. De facto ist es ja auch ein ethisches Dilemma, streiken zu gehen, wenn da Patienten liegen. Daher ist es wichtig diese Frage gut zu besprechen und den Streik so zu organisieren, dass er trotzdem möglich ist. Aber: die Prägung aus dieser kirchlichen Richtung hält sich schon sehr, sehr stark auch noch unter den Beschäftigten, würde ich sagen. Das zeigt sich auch in den Erwartungen, die uns entgegen gebracht werden.
Inge: Ich finde, daran sieht man, wie skurril das ganze System mittlerweile geworden ist. Einerseits sind die Kliniken auf Profitorientierung ausgerichtet. Andererseits soll sich unsereiner gefälligst sehr nett um die Patienten kümmern und möglichst für nichts arbeiten. Und wehe wir streiken. Also, das passt irgendwie alles nicht wirklich zusammen.
Zwischenfälle: Ja, das ist wirklich ein Widerspruch.
Im Rahmen der Videokonferenz wird nun ein Video vom Oktober eingespielt, das Szenen zweier Streiktage in Nürnberg zeigt, an denen bis zu 800 Beschäftigte vom Klinikum Nürnberg und vom Nürnberg Stift teilnahmen. Auch outgesourcte Beschäftigte der Klinikum Nürnberg Servicegesellschaft (KNSG), deren Tarif noch gar nicht zur Verhandlung stand, waren in Solidaritätsstreik gegangen und nahmen an den Demos teil. Sprechchöre rufen den Streiktag aus und erklären „Das Klinikum wird dichtgemacht“. Im Hinblick auf die geforderte Wiedereingliederung der Service-Beschäftigten, die laut Klinikum 1 Mio Euro kosten würde, wird gerufen: „Wir sind Klasse, macht auf die Kasse“.
Auf dem Video sind für einen den Anlass ungewöhnlich viele Plakate und Transparente mit eigenen Forderungen und Anklagen zu sehen. „Wenn wir nicht mehr können, was dann?“, fragt ein Transparent, das ein Totenkopf ziert. „Verlässliche Arbeitszeiten!“ fordert ein Plakat. „Outsourcing ist Spaltung“, erklärt ein anderes. Immer wieder sind auch Plakate mit dem Logo der Initiative Gesundheit statt Profit zu sehen. „Gute Pflege, statt Profite mit unserem Gesundheitswesen“, heißt es darauf zum Beispiel, oder auch: „Keine Nachtschicht alleine!“.
Zwischenfälle: Der Streik ging ja eigentlich nicht um solche Forderungen?
Anja: Ja, eigentlich ging es natürlich um die Tariferhöhungen. Verdi hat 4,8 Prozent gefordert, mindestens jedoch 150 Euro. Aber eine so große Mobilisierung erreicht man nicht mit 4,8 Prozent-Forderungen, sondern die Menschen möchten rausschreien, wie empörend diese Arbeitsbedingungen sind und dass es so in diesem Gesundheitswesen nicht weitergeht. Dass es ihnen wirklich stinkt, dass wir wirklich wütend sind, wie Profit gemacht wird.
Zwischenfälle: Man sieht im Video tatsächlich, wie bewegt die Menschen sind. Es wird sogar getanzt.
Inge: Ich meine, dass die Pandemie ein Katalysator war, weil einfach alle bis weit in die Gesellschaft hinein gesehen haben, dass die Pflege wirklich am Stock geht. Ja, und dass es nicht nur um Lohnforderungen gehen kann, sondern dass einfach mehr Personal auf die Stationen muss, punktum. So mancher würde wahrscheinlich auf mehr Geld verzichten, wenn nur genügend Personal auf den Stationen wäre.
Zwischenfälle: Es wurde eine geringe Gehaltserhöhung erreicht, aber der Personalmangel bleibt ja bestehen. Das heißt sicher, dass der Kampf noch lange nicht zu Ende ist?
Inge: Mit Sicherheit nicht. Die Initiative Gesundheit statt Profit kann dann solche Forderungen aufstellen. Dafür können wir ja viel eher kämpfen, weil wir an nichts gebunden sind (Anm.: gemeint ist, dass Gewerkschaften an tarifvertragliche Pflichten gebunden sind).
Anja: Es gab zeitgleich die politischen Forderungen von Verdi, die wir in der Initiaitve Gesundheit statt Profit auch teilen, nämlich Abschaffung der DRG's, Rückführung der outgesourcten Bereiche, und Personalbemessung. Eine vernünftige Personalbemessung ist ja eigentlich das allerwichtigste für alle Berufsgruppen im Krankenhaus, damit wir nicht die ganze Zeit im Dilemma sind zwischen dem, was wir eigentlich können und tun wollen mit den Patienten, und den geringen Zeitressourcen, die wir zur Verfügung haben.
Zwischenfälle: Was versteht man denn unter DRG‘s?
Inge: Diagnosis Related Groups heißen die Fallpauschalen, die 2003 eingeführt wurden und meiner Meinung nach die Misere heraufbeschworen haben, weil dadurch Krankenhäuser jetzt profitabel arbeiten müssen. Und wenn kein Geld da ist - oder vermeintlich kein Geld da ist - dann wird am Personal gespart. So kommt es, dass die Pflege derart miserabel besetzt ist und zum Teil auch unter der Woche mit einer geringeren Besetzung arbeitet, wie derjenigen, die durch die Notdienstvereinbarungen für die Streiks festgelegt wurden. So ist es bei uns auf der Neurologie zum Teil.
Zwischenfälle: Wir haben vor kurzem eine Podiumsveranstaltung besucht. Da ging es um „Kämpfe zwischen den Klassen und soziale Bewegungen in Zeiten der Krise“. Teilnehmer war unter anderem Kalle Kunkel vom Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“, der Verdi-Funktionär war während der sogenannten Entlastungskämpfe um 2015 an der Berliner Charité – das waren also Kämpfe für bessere Personalbemessung in der Pflege. Auch er analysierte im Vortrag, dass die Fallpauschalen Ursache für Outsourcing und Personalabbau waren. Dies führte an der Charité wie auch andernorts zu jahrelangen Auseinandersetzungen. Wir spielen nun zwei O-Töne aus seinem Vortrag ein:
Einspielung, O-Ton Kalle Kunkel: „Diese Auseinandersetzungen plätscherten lange vor sich hin und dann war die Charité, würde ich sagen, ein Gamechanger. Die Charité-Betriebsgruppe hatte aus der betrieblichen Realität ein extrem strategisches Wissen aufgehäuft: 2011 gab es eine Tarifauseinandersetzung, in dem massive Lohnerhöhungen durchgesetzt wurden und dann haben sie eins und eins zusammengezählt und gesagt, in diesem DRG-System bedeutet Lohnerhöhung, dass sie morgen anfangen werden, am Personal zu sparen. Also: dann müssen wir ihnen eben auch verbieten, Personal zu sparen. Weil wir davon ausgehen, dass wir in einer Klassengesellschaft leben, werden wir das nicht dadurch bekommen, dass wir der Politik die richtigen Argumente liefern, sondern wir nehmen sie in die Zange. Wir starten zum einen eine politische Auseinandersetzung mit unserer Gewerkschaft für die richtigen Gesetze, und dann nutzen wir unsere Machtressourcen - nämlich am Ende den Streik - um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen“
Zwischenfälle: Wozu dieses zweigleisige Vorgehen? Warum streikt man nicht einfach für eine gesetzliche Regelung?
Anja: An der Charité wurde für einen Entlastungsvertrag gestreikt, weil Gewerkschaften in Deutschland eben um Tarifverträge streiken und nicht für Gesetze.
Inge: Also, auch weil sie keine politischen Streiks führen dürfen...
Anja: Andererseits ist jeder Streik politisch, auch wenn er um Tarifverträge geführt wird….
Zwischenfälle: Natürlich sind Streiks immer politisch. Es gab aber in den 50er Jahren harte Auseinandersetzungen um das Betriebsverfassungsgesetz. Im Nachgang mussten die Gewerkschaften hohe Geldstrafen für einen Streik zahlen (Anm: Arbeitsgerichte werteten einen Streik der ZeitungsarbeiterInnen für mehr Rechte im Betriebsverfassungsgesetz als Nötigung des Parlaments). Seit damals heißt es, man dürfe nicht politische Forderungen erstreiken. Doch es ist immer auch eine Frage der Verhältnisse, der Rahmenbedingungen...
Anja: Wenn wir es alle tun, dann wird es wahrscheinlich schon funktionieren, nicht wahr? Aber davon sind wir wohl noch weit entfernt in Deutschland.
Zwischenfälle: Wir spielen einen weiteren Teil des Vortrags ein:
Einspielung, O-Ton Kalle Kunkel: „Das ist 2015 passiert, 2016 hatten wir den Abschluss. Immer mehr Krankenhäuser haben sich auf den Weg gemacht und das gleiche getan. Zum einen weil immer klar war, das ist das Thema. Auch wenn die Gewerkschaft aufgerufen hat, für Geld zu streiken. Immer haben die Beschäftigten auf die Frage „Warum seit ihr hier draußen“ gesagt: Weil die Arbeitsbedingungen Scheiße sind. Also es war völlig egal weshalb man aufgerufen wurde. Man hat eigentlich gestreikt um zu zeigen, wir brauchen mehr Leute. Das heißt es wurde sichtbar, wir können zu dieser Frage selber mächtig werden, wir müssen nicht mehr auf jemanden warten oder überzeugen, sondern wir können sagen: Wenn nicht, dann legen wir den Laden still.“
Zwischenfälle: Diese Bewegung ist also mittlerweile auch bei uns in Franken angekommen. Welche Rolle hat denn dabei die Initiative Gesundheit statt Profit gespielt, und welche die Gewerkschaft?
Anja: Wir haben uns im Frühjahr gegründet, mitten im Corona-Lockdown I, weil es uns ein Anliegen war, auf die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus hinzuweisen und auf die Ökonomisierung. Wir haben das auch vor's Klinikum Nürnberg getragen mit Demonstrationen und Kundgebungen, die in der Belegschaft des Klinikums wahrgenommen worden sind. Zum Teil haben Kolleginnen mitgemacht und der Vorstand war höchst alarmiert. Er hat im Intranet davon abgeraten an solchen Kundgebungen teilzunehmen. Dies und die Forderungen von Gesundheit statt Profit waren ein politischer Anstoß für die Belegschaft, würde ich sagen. Dann begann so langsam die Tarifrunde im Sommer. Da wurden noch mal die gleichen Forderungen laut mit der Fotopetition von Verdi und es gab die Tarifforderungen nach Lohnerhöhung.
Nachdem so viel geklatscht wurde und sooo viel Applaus gespendet wurde fürs Pflegepersonal, hat man wirklich viel erwartet und war auch etwas enttäuscht von den Forderungen durch Verdi. Man hat sich wirklich wirklich Hoffnungen gemacht, dass sich etwas verändert durch den Streik…
Zwischenfälle: Heißt das denn, die Bewertung des Streiks fällt negativ aus?
Anja: Sicher nicht. Ich würde für Nürnberg sagen, es gab eine Riesenmobilisierung in dieser Zeit der Tarifverhandlungen und die geht auch weiter. Die Leute sind weiterhin aktiv auch nach dem Tarifabschluss. Wir haben uns vernetzt, Leute diskutieren mit politischen Parteien darüber, was ihnen beim Streik zugefügt worden ist, wie sie sich behandelt gefühlt haben.
Aber auch über die Arbeitsbedingungen und ihre Forderungen. Es ist also nicht wie sonst, dass man wieder in den Dornröschenschlaf zurückfällt, wenn die Tarifverhandlungen abgeschlossen sind. Ich bin eigentlich überzeugt, dass es jetzt so richtig erst anfängt. Das es weitergehende Forderungen und eine weitergehendene Mobilisierung bei uns geben wird.
Das haben diese kraftvollen Streiks auch mit den KollegInnen von der KNSG (Anm: die outgesourcte Klinik Nürnberg Service Gesellschaft) bewirkt, dass man zusammen auf der Straße stand. Man hat ja auch in den Originaltönen im Video gehört: Es war ein sehr kraftvoller Ausdruck und es war ein gutes Gefühl zusammen zu stehen und zu streiken. Und das wollen wir uns auch noch erhalten.
Inge: In Erlangen ist die Situation anders, aber Streik ist immer ein gutes Mittel um Druck zu machen und solidarisch zu sein mit allen. Das ist aber nur das Eine und jetzt müssen wir alle am Ball bleiben - vor allem unsere Initiative - und weiterkämpfen. Z.B. dafür, dass diese ganzen outgesourcten Menschen wieder zurück in den TVöD kommen. In Nürnberg gibt es dafür ganz gute Chancen, in Fürth ist es ja schon geschafft und in Erlangen sind sie auch gerade dabei sich - hoffentlich - zu organisieren.
Anja: Das Outsourcing ist auch keine Nürnberger Spezialität, das ist ja bundesweit passiert, weil man eben diese Kosten sparen will. Auf dem Rücken der Allerschwächsten, muss man sagen. Ich finde das echt einen Skandal.
Zwischenfälle: Gibt es euere Initiative nur in Nürnberg und Erlangen oder auch anderswo?
Inge: Wir begreifen uns zwar als zuständig für die Metropolregion, aber Initiativen wie unsere gibt es über ganz Deutschland verteilt. Sie nennen sich unterschiedlich, aber es gibt ganz viele davon.