1933 übernehmen Ludwig, Kuni und Hannes die Aufgabe, für die illegale KPD eine Zeitung zu produzieren. Eine Höhle in der fränkischen Schweiz wird für kurze Zeit zur "Untergrund"-Druckerei. Dann holt der Terror der Nazis die jungen Leute ein.
u.a.
Atmo: Schritte im Wald, knackende Äste …
Zusammen mit einem dutzend Menschen haben wir uns heute auf Weg in den Veldensteiner Forst im Osten der Fränkischen Schweiz gemacht. Ca 1 Stunde dauert der Fußmarsch von Neuhaus durch Kiefernwald und karstige Heide vorbei an der Mysteriengrotte und durch den lichteren Mischwald unterhalb des Schelmbachsteins. Unser Ziel ist die wenig bekannte Anton-Völkl-Grotte. Ein kaum begangener schmaler und steiler Pfad führt uns zu einem unscheinbaren Loch im Fels. Ein aus dem Boden ragender Felsbrocken verdeckt die Sicht ins Innere. Dahinter scheint auf den flüchtigen Blick nur ein halber Meter Raum zu sein.
Auf Bitten des Nürnberger Antifaschistischen Aktionsbündnisses hat die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN diese Exkursion organisiert. Gustl Ballin, VVN-Mitglied und Vorsitzender der nordbayerischen DKP hat uns hierher geführt:
Gustl Ballin: „Das ist jetzt keine besonders große Höhle. Es gibt auch keine Tropfsteine. Hier hat ein illegaler junger Erwachsener 1933 im Frühsommer eine illegale Zeitung gedruckt„
Gemeint ist Ludwig Göhring. Der damals 22jährige war Mitglied der KJVD, der Jugendorganisation der KPD gewesen. Nach der Machtübernahme der Nazis mussten sich die Kommunisten in der Illegalität organisieren.
Gustl Ballin: „Januar 33 haben die Faschisten die Macht übernommen. Und dann ging das Schlag auf Schlag. Es gab Razzien. Man hatte Schwarze Listen. Die KPD wurde verboten. Später auch die SPD. Es ging Schlag auf Schlag und schnelle. Von Seiten der der KPD wurde überlegt, wie kann man sich äußern, und so hat man eine Zeitung gemacht mit einer Auflage von 2000.“
Bei einem konspirativen Treffen im Mai 1933 in einem Waldstück bei Nürnberg wird Ludwig beauftragt die Herstellung der Zeitung zu übernehmen: die „Blätter der sozialistischen Freiheitsaktion“ .
Mit im Team sind Kuni Schumann-Schwab und Ludwigs Freund Hannes Pickel.
Alle drei kennen sich bereits aus der SAJ, der SPD-nahen Sozialistischen Arbeiterjugend. Unter den zugespitzten politischen Verhältnissen hatten sie sich den Kommunisten zugewandt.
Ludwig und Hannes richten für die Herstellung der „sozialistischen Freiheitsaktion“ einen Schuppen in der Nürnberger Gartenstadt ein. Hannes und Kuni übernehmen die redaktionelle Arbeit bei der sie Artikel der Roten Fahne verarbeiten, Göhring zeichnet den Zeitungskopf. Zum Vervielfältigen wird ein Matritzen-Abzugsgerät verwendet. Ludwigs spätere Frau Irma Göhring erinnert sich:
Irma Göhring: „So a Abziehmaschiene Ham sie a ahnung was des is. Des is wie a große Schreibmaschine Da hat mer kurbelt und auf der andern Seite is des Papier rauskommen. … „No hat mer da immer wieder Farbe nachtun müssen damit es auch richtig gedruckt war. „
Vor allem aber macht der Apparat einen Riesenlärm. Man fürchtet die Entdeckung und so sucht man für die 2. Auflage nach einem neuen Ort.
Gustl Ballin: „Jemand der nicht namentlich bekannt ist kannte diese Höhle und hat sie den Genossen von der KPD gezeigt. Und weil sie ja so unscheinbar ist hat sie sich gut geeignet. Es wird erst mal sehr eng, kann nicht einfach jemand reinspazieren.“
So eng ist es, dass nicht jeder aus unserer Gruppe durchpasst. Mir selbst wird abgeraten. Mein Kollege Marco Lehner nimmt das Mikrofon mit in die Tiefe.
Marco Lehner: „Ich bin jetzt hier an einem Seil angehangen und schieb mich durch einen mittlerweile nur noch 20 cm langen Gang. Also hier jetzt diesen Schacht runter. Ich brauch ein bisschen mehr Seil. (Steine rieseln) Achtung Steine!!! Ist euch was passiert.... Also ab.“
Organisierung in der Illegalität
Verbot und Illegalität kommen zwar nicht völlig überraschend für die KPD. Die Partei hatte 1932 auch Maßnahmen eingeleitet, die die Arbeit in der Illegalität ermöglichen sollte.
Das betrifft vor allem die Aufrechterhaltung der Leitungsstruktur und die Weiterverbreitung der Parteizeitungen. So sollen Kuriere den Kontakt zwischen der Bezirksleitung und den Stadtteilleitungen aufrecht erhalten.
Wie lange allerdings der faschistische Terror anhalten und welches Ausmaß er annehmen wird, kann man sich 1933 noch nicht vorstellen.
Gustl Ballin: „Die KPD war schon zeitweilig mal verboten und ihre Zeitung verboten. Das war alles gar nicht so tragisch sag ich mal. Man konnte sich praktisch vor 33 so vorstellen den Faschismus im Rückblick wie wir das heute so kennen. Die Leute die dann Antifaschisten waren war gar nicht so einfach sich in Situation hinein zu denken. Deswegen sind ja so viele auch verhaftet worden und sind umgekommen.“
Die Verbreitung von Publikationen aus der Illegalität ist natürlich eine wichtige Aufgabe. Vor dem Reichstagsbrand am 27. Februar 33 und dem folgenden Verbot der KPD gab es in Nürnberg ein knappes Dutzend kommunistische Stadtteilzeitungen mit Namen wie Rotes Sprachrohr oder Sturmfahne. Der „Rote Sandberg“ aus Johannis gehört zu den bedeutendsten. Trotz Verbot kann er – vermutlich noch bis Frühsommer 33 – mit einer Auflage von bis zu 2000 Stück zu einem Preis von 10 Pfennig herausgegeben werden.
Als Ludwig Göhring, Kuni Schumann-Schwab und Hannes Pickel im Juni mit der Herstellung der „Sozialistischen Freiheitsaktion“ beginnen, haben erste Verhaftungswellen im März und April bereits beträchtliche Lücken in die Führungsebene der KPD geschlagen, während der kommunistische Jugendverband in Nürnberg noch relativ intakt ist. Es gibt zu dieser Zeit in Nürnberg wohl etwa 300 kommunistisch organisierte Jugendliche.
Vor diesem Hintergrund wird die bis dahin eigenständig agierende Jugendorganisation stärker in die illegale Parteiarbeit der KPD einbezogen. Aus Berichten der politischen Polizei geht denn auch hervor, dass die Aktivitäten der kommunistischen Jugend seit März zugenommen haben. Man verteilt Flugblätter und Zeitungen, wie den „Roten Jungsturm“, hilft beim Einschmuggeln von politischem Material aus dem Ausland und übernimmt Kurierdienste.
Marco Lehner: „Ich bin jetzt hier im Hauptraum der Höhle, Das ist ein etwa 10 auf 20 Meter großer Raum....“
Nachdem der geeignete Ort gefunden ist, muss die Gruppe möglichst unauffällig das große Matritzenabzugsgerät dort hin schaffen.
Irma Göring erinnert sich:
Irma Göhring: „Erst hat er sichs an'gschaut. Dann sind sie raus mit dem Motorrad...
Auch eine Strickleiter besorgt sich Ludwig Göhring. Gefertigt wird sie von einem Freund der drei, Kunis Schwager Oskar Pflaumer. Oskar fragt nicht groß nach, wofür die Leiter gebraucht wird, stellt sie laut späterem Polizeibericht aus Stahlkabeln und Eisenstäben her. Nachdem Transport und Zusammensetzen des Apparats geglückt sind, macht sich Ludwig noch zweimal auf den Weg zur Anton-Völkl-Grotte. Über Nacht, beim Schein einer Karbidlampe stellt er die zweite Ausgabe der Zeitung her. Diesmal geht noch alles glatt.
Auch eine dritte Ausgabe kann er in einer Augustnacht in mühevoller Arbeit vervielfältigen. Doch am Morgen, zurück in Nürnberg, scheitert dann der Versuch der Übergabe des fertigen Materials zur Weiterverteilung am Nürnberger Ostbahnhof.
Gustl Ballin: „Dann kam der Zeitpunkt, dass man sich auf diese illegale Tätigkeit noch nicht eingestellt hat. Es gibt 2 Minuten Karenzzeit wenn jemand nicht kommt. ...„
Ludwig wird in die Folterkeller der SA verschleppt. Erst ins Nebenzimmer eines Wirtshauses, dann ins SA-Hauptquartier, danach in die SA-Wache in der Fürther Straße und dann in die Samariter-Wache am Kornmarkt. Er wird bis zur Bewußtlosigkeit geprügelt. Schließlich gibt er den Standort der Höhle preis.
Die Methoden der SA sind bestialisch. Man schlägt den Gefangenen wie in der orientalischen Bastonade die Fußsohlen blutig, man pumpt ihnen den Magen auf, man hängt sie kopfüber an der sogenannten Schaukel auf, wo sie in entwürdigender Haltung geprügelt werden.
Jahrzehnte später wird Ludwig sich erinnern:
O-Ton Ludwig Göhring: „Auf einer Stahltragbare war ich festgebunden mit dem Rücken nach oben. Über mir saß erhöht auf einem Stuhl der Vernehmungsführer: Er kommandierte nur: 20 weil er lügt. Ein anderer stellte die Fragen: Wer war dein Auftraggeber. Wer hat das Papier. Wo wurde gedruckt. So ging es 1,1/2 Stunden. Auf dem Boden neben der Tragbahre konnte man Blutspuren sehen. Sie beendeten dann nachdem ich den Standort der Höhle genannt hatte.“
Auch in einem Untersuchungsbericht vom Dezember 1933 ist zu lesen:
Zitat: „G. (Göhring) wurde dann auf eine bereitstehende Tragbahre gebunden und von zwei SA-Leuten mit einer Ochsensehne und einem Gummiknüttel auf Gesäß und Fußsohlen geschlagen. Dann wurde er auf den Abort gefiihrt. Nach 10 Minuten wurde er wieder geholt und mußte durch ein Schlüsselloch in den Raum sehen, in dem er vorher vernommen worden war.“
Dort sieht er seinen Freund Oskar Pflaumer beim Verhör. Zwei Tage nach seiner eigenen Verhaftung war dieser im Rahmen einer Großrazzia des Nürnberger Gestapochefs Otto festgenommen worden Nun wirft man ihm die Herstellung der Leiter vor. Auch Oskar Pflaumer wird bestialisch gefoltert. Die Folter überlebt er nicht. Er stirbt an den Folgen seiner Verletzungen. Haupttäter sind die SA-Männer Eugen Korn und Hans Stark.
Der Mord an Oskar Pflaumer kann nicht völlig unter den Tisch gekehrt werden. Auf den Druck der Verwandten kommt es zu einer Untersuchung:
Zitat: „Die am 18. August 1933 vorgenommene gerichtliche Leichenöffnung hat ergeben, daß an der Leiche die Haut des Gesäßes und der Oberschenkel in Form des Reithoseneinsatzes tief blaurot verfärbt war. Die Haut der Fußsohlen war von dem massenhaft darunter angesammelten Blut vorgewölbt, sodaß sich beim Einschneiden nach Ablaufen des Blutes fast faustgroße Taschen ergaben. Der Landgerichtsarzt hat noch berichtet, daß nach seinem Befund Pflaumer in grausamster, qualvoller Weise mit stumpfen Gegenständen zu Tode gepriigelt worden sei.„
Doch die SA-Führung und willfährige Stellen in Justiz und Polizei verhindern die Verurteilung der Mörder. Obwohl schwerlich Zweifel an der Täterschaft von Korn und Stark bestehen können, wird das Verfahren gegen sie niedergeschlagen, mit der Begründung:
Zitat: „...würde das Ansehen der SA, der Partei, der Polizei und des nationalsozialistischen Staates überhaupt in schwerster Weise geschädigt und erschüttert. Noch größer aber wäre der Schaden für das Deutsche Reich, der dadurch entstehen wurde, dass - wie bestimmt anzunehmen ist – das Ausland von den Vorgängen Kenntnis erhielte.“
Epilog
Im November 34 wird Göhring mit anderen Kommunisten in München wegen Hochverrats zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Haftstrafen reichen jedoch den Nazis nicht aus. Nach der Haft kommt er wie viele andere zunächst ins KZ Dachau, nach einem Zwischenaufenthalt im KZ Flossenbürg zum brutalen Arbeitseinsatz bei Erdarbeiten und im Steinbruch wieder zurück nach Dachau. Weil er sich an einer Solidaritätsaktion beteiligt, wird er ausgepeitscht und zu einem Jahr Strafkolonie verurteilt. 1944 wird er ins KZ Neuengamme verlegt und dort zur berüchtigten SS-Sturmbrigade Dirlewanger gepresst, die angesichts hoher Verluste zum Kriegsende hin viele KZ-Häftlinge rekrutiert. An der Front desertieren Hunderte von ihnen zur Roten Armee, unter ihnen auch Ludwig Göhring.
Nach der Machtergreifung der Nazis gelingt es der Nürnberger KPD nur ein einziges Jahr lang in der Illegalität organisiert zu überleben. Immer stärker werden die Aktiven von immer neuen Verhaftungswellen dezimiert. Nachdem Ende Januar die 3. Bezirksleitung zerschlagen wird, ist eine Organisierung im echten Sinne nicht mehr möglich. In München werden im Juni 1934 gegen 29 Angeklagte 12 ½ Jahre Zuchthaus und 25 Jahre Gefängnis verhängt. Für die Verurteilten ist nach der Haft meist der Leidensweg nicht zu Ende. Sie werden in KZ‘s verschleppt, wo viele von ihnen ermordet werden.
Etwas länger kann die Rote Hilfe standhalten, in der auch Nicht-Kommunisten aktiv sind. Doch obwohl die Organisationen zerschlagen sind - ZeitzeugInnen und zahlreiche Gerichtsakten belegen: Bis zum Kriegsende leisten Nürnberger Kommunisten, Sozialdemokraten und Antifaschisten als Einzelpersonen und in Gruppen auf vielfältige Weise Widerstand.
Marco Lehner: „All right ich bin unten. …. „
Teilnehmer: „Ich bin heute hier weil mich das interessiert, weil ich glaube Illegalität ist schon eine schwierige Sache....“